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„Elitär motivierte Menschenfeindlichkeit“

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Gute Argumente und Anregungen zur unsäglichen „Integrationsdebatte“, die mit den Polemiken von Thilo Sarrazin einen traurigen Höhepunkt erlebt hat, bietet dieses Buch. Dass Konflikte und soziale Spannungen, die neuerdings gerne unter dem Label „Kultur“ oder „Religion“ geführt werden, in Wirklichkeit von sozialem Ausschluss, von ungerechten Teilhabechancen und der Schere zwischen Arm und Reich her kommen, ist zwar nicht neu. Trotzdem gibt es nochmal neue Denkanstöße.

Zum Beispiel, dass es manchmal wirklich Kleinigkeiten sind, die schon einen falschen Dreh reinbringen. Wie bei jener Grundschullehrerin, die Herkunftsdifferenzen im Unterricht thematisieren möchte und ihre Schülerinnen und Schüler also auffordert, am nächsten Tag ein „in ihren Herkunftsländern typisches Frühstück“ mitzubringen. Das ist zwar gut gemeint, transportiert aber genau wieder jene falsche „Kulturalisierung“ von Differenzen, die die Wurzel des Übels darstellt: Die Kinder werden nicht in ihrer Individualität gesehen, sondern zu Repräsentantinnen und Repräsentanten einer Kultur gemacht. Wer sagt denn, dass in allen Familien, die irgendwann mal aus der Türkei eingewandert sind, „typisch Türkisch“ gegessen wird? Frühstücken denn etwa alle deutschen Familien dasselbe? Besser wäre es, zu fragen: „Was esst Ihr normalerweise zuhause zum Frühstück? Bringt das morgen mal mit.“ Auf diese Weise würden Unterschiede sichtbar und thematisiert, ohne gleich wieder Klischees zu produzieren.

Das Buch berichtet auch über aufschlussreiche Studien zum Thema. Wie ein Experiment, bei dem Teilnehmer_innen gebeten wurden, die ethnische Herkunft von Gesichtern zu bestimmen:  Personen in Anzug und Krawatte wurden dabei tendenziell „weißer“ eingeordnet, als Personen mit der Kleidung von Pförtnern oder Hausangestellten – obwohl es dieselben Gesichter waren. In anderen Studien wurden Kinder und Jugendliche über ihre Visionen und Zukunftspläne befragt: Mussten sie zunächst ihre Herkunft oder Hautfarbe nennen, zeigen sich deutlich größere soziale Unterschiede in ihren Wünschen, als wenn man sie vor der Befragung nicht daran erinnerte.

Aufgeräumt wird auch mit der Idee, dass Rassismus und vor allem Anti-Islamismus Phänomene seien, die besonders häufig in Unterschichts-Milieus anzutreffen seien – das Gegenteil ist der Fall. Es sind vor allem die Eliten, die selbst ernannten „Leistungsträger“, unter denen rassistische und islamophobe Einstellungen in den vergangenen Jahren zugenommen haben. Die Formulierung der „elitär motivierten Menschenfeindlichkeit“ trifft das Phänomen sehr gut.

Die Analysen werden ergänzt durch Reportagen an Orten, wo „Integrationskonflikte“ virulent sind, zum Beispiel in Berlin-Neukölln. Die Zusammenstellung wirkt manchmal ein bisschen willkürlich, manche Schilderung zieht sich auch in die Länge. Vielleicht wurde das Buch eher schnell zusammengestellt, damit die Aktualität des Themas nicht verloren geht. Obwohl das ja – leider – ohnehin nicht zu vermuten gewesen wäre.

Eva Maria Bachinger, Martin Schenk: Die Integrationslüge. Antworten in einer hysterisch geführten Auseinandersetzung. Deuticke, 207 Seiten, 2012, 17,90 Euro.



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